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Wohnbaugenossenschaft Feuerwehr Viktoria

 

Eingeladener Projektwettbewerb: 2021
Veranstalterin: Genossenschaft Alte Feuerwehr Viktoria

Architektur:

 

 

 

 

Statik:
Fotografie:

Alexander Barina - Studio Barina

Simon Gysel

Lorenz Frauchiger

Sonja Wille

Stefan Gysel

Timbatec AG
Roland Juker

Platzierung: 3. Rang, 3. Preis

 

Ost - West

Städtebau

Das Projekt «Ost-West» zeichnet sich durch die präzise Setzung von zwei neuen Volumen im bestehenden Baufeld aus, die sowohl den schützenswerten Bestand wie auch die Vernetzung im Quartier respektieren und aufwerten. Die dem Bestandesbau folgende einfache Formensprache manifestiert ein Weiterbauen im Einklang mit der hohen Baukultur der alten Feuerwehr.

Der Entscheid zum Ersatz der beiden Bauten im Hof und am Kopf wird bewusst gefällt und ermöglicht mit den Neubauten optimal auf die angrenzenden Räume einzugehen. So erfährt nicht nur der Hof eine grundlegende Neuausrichtung mit Einbezug des Turms in den Gesamtkontext, gleichzeitig vermitteln die Neubauten nach innen wie nach aussen. Durch diese neue städtebauliche Konfiguration wird zum einen der Hofraum in seiner Proportion gestärkt und der Turm als vertikales Zentrum und Schwerpunkt des Ensembles klar definiert.

Die Stellung des Hofgebäudes generiert eine Gassenbildung mit dem westlichen Postgebäude, das Feuerwehrareal erhält so eine neue Eintrittspforte aus dem Breitenrainquartier an der Verzweigung Beundenfeld- und Moserstrasse. Ebenso vermag der nördliche Kopfbau sowohl die Gotthelfstrasse städtebaulich zu klären und dem Hof den nötigen räumlichen Halt im Norden zu geben.

Auf diese Weise wird ein poröser Stadtbaustein geschaffen mit gezielten Durchwegungen für die jeweiligen Nutzer:innen. Eine selbstverständliche Zonierung des Hofes entsteht, die den polyvalenten Ansprüchen gerecht wird. Dank der für das Wohnen optimalen Ost-West Ausrichtung profitieren sowohl der Innen- als auch der Aussenraum von der neuen Gesamtdisposition des Ensembles.

 

Architektonische Gestaltung

Um die delikate Situation mit dem denkmalgeschützten Bestandsbau zu lösen, wird mit großer Vorsicht agiert. Die Materialisierung und Proportionen der Neubauten orientieren sich an der Feuerwehr Viktoria. Beginnend bei der Dimensionierung der Volumen selbst, über Fensterproportion und die Farbigkeit einzelner Elemente wie Metallkonstruktionen und Türen werden Bestand und Neubauten zu einem neuen Ganzen verschränkt.

Als grundsätzliche Gestaltungselemente des Bestandes gelten: 1. Betonung von Gebäudemasse und deren Körperhaftigkeit, unterstützt unter anderem durch den Verzicht auf einen Dachrand. 2. In diese verschränkten Volumen eingeschnittene Lochfenster.

3. An dieses Volumen additiv angebrachte architektonische Elemente, wobei die Wahrnehmung als Körper gewährleistet bleibt. Die einfache und direkte Aneignung dieser Prinzipien schat mit einfachen und ökonomischen Mitteln einen direkten Bezug zum Bestand, wodurch ein stimmiges Gesamtbild mit dem Baudenkmal entsteht, ohne die Eigenständigkeit der Neubauten in Frage zu stellen.

 

Denkmalpflege - respektierte Baukultur

Im Bewusstein, dass der bestehende Saalbau den schützenswerten Bestand der alten Feuerwehr auf eine wertvolle Art und Weise ergänzt und komplettiert hat, gilt seine Einfachheit in Volumen, Organisation und Erscheinung als Vorbild für den Ersatzbau. Struktur und Raum des Saalbaus lassen sich nicht mit der zukünftigen Nutzung vereinen – das Weiterbauen geschieht nicht im Bestand des Saalbaus sondern in seinem Geist.

Die einfachen Volumen und die sensibel gewählte Situierung respektieren das baukulturelle Erbe der alten Feuerwehr auf eine bemerkenswert rücksichtsvolle Art. Durch den Abbruch des Saalbaus kann die Chance genutzt werden, das K_Objekt wieder in seiner ursprünglichen Form freizulegen und als volumetrische, scheinbar freie Komposition verschränkter Körper ablesbar zu machen. Diese wird nun durch zwei weitere Objekte ergänzt, wobei jedes Gebäude sowohl als Teil einer ausbalancierten Gesamtkomposition, als auch als eigenständiges Objekt gelesen werden kann. Diese Ambivalenz bietet eine gewisse Offenheit für zukünftige Entwicklungen und Adaption der einzelnen Gebäudeteile.

 

Innovativer Wohnungsbau

Den Auftakt zur Feuerwehr Viktoria bilden die jeweils peripher gelegenen Gassen. Von Osten her finden die Kinder via Schüler:innen-Gasse direkten Anschluss zur Tagesschule im Erdgeschoss des Bestandes und des Ersatzneubaus. Im Bestand finden sich bis auf die bestehenden Wohnungen nur Gewerbe- und Gemeinschaftsflächen. Somit kann die Struktur erhalten bleiben. 

Im Turm entsteht eine Turmwohnung die als «Artist-in Residence» in einem jährlichen Turnus genutzt werden könnte. Im Untergeschoss liegen Nebenräume, Haustechnik und Küche. Über eine filigrane Metallstruktur gelangt man zu den über der Tagesschule liegenden 1 bis 6.5 Zimmer Wohnungen. 

Ein nutzungsoener Wintergarten bildet den Auftakt zu jedem Geschoss. Über den als polyvalente Begegnungszone ausgebildeten Laubengang gelangt man zu den Wohnungen. Sie verfügen über flexible Schalt- und Zusatzzimmer. Dank der Holzbauweise können die Wohnungen mit ihren Nutzer:innen wachsen und schrumpfen. Auf der Dachterrasse findet die Hausgemeinschaft ihren Platz aber auch die Natur. Aufgeständerte Solaranlagen liefern Energie, eine intensive Begrünung managt das Regenwasser.

Von Westen her gelangt das Quartier via Gewerbe-Gasse an den Neubau im Hof. Im Erdgeschoss finden sich die Gewerbenutzungen, die der Tagesschule weichen mussten. Darüber liegen die Cluster Wohnungen. Aktivitäten Zimmer, klare Zonierungen und grosszügige Räume ermöglichen eine zukunftstaugliche Wohnvielfalt. Die Zimmer verfügen über grosszügige Önungen zum Gemeinschaftsbereich mit denen der Grad an Rückzug und Teilnahme präzise gesteuert werden kann. Die Balkonschicht zum Hof funktioniert als räumlicher Filter zwischen den unterschiedlichen Nutzungen.

Es entsteht ein maximal flexibler, robuster Wohnungsbau, der Dank langfristiger Nutzbarkeit in unterschiedlichen Konstellationen einen hohen Gebrauchswert aufweist und über Generationen hin nicht ersetzt, sondern nur umgebaut werden kann. Dank atmender Oberflächen und Begrünung herrscht eine optimale Behaglichkeit.

Konstruktion

Der Holzbau steht für Suffizienz und Identität des Projektes und bildet die Basis für den Einsatz nachhaltig produzierter Baumaterialien. Sowohl die primäre Tragkonstruktion aus dem TS3-System wie auch die sekundären Bauteile werden nach Kriterien der Kreislaufwirtschaft ausgesucht und eingesetzt. Der Einsatz von Recyclingbeton beschränkt sich auf die erdberührten Bauteile.

 

Wirtschaftlichkeit

Das Projekt zeichnet sich durch einen sehr hohen Anteil (83%) von Hauptnutzfläche an der oberirdischen Geschossfläche aus. Obwohl die oberirdische Geschossfläche gering ist, können so die Anforderungen an die Wohnungsflächen gut erreicht werden. Die kompakten Baukörper respektieren den Bestand und lassen geringe Erstellungs- und Energiekosten erwarten. Die erhöhten Anforderungen an Inklusion und Nachhaltigkeit lassen sich mit den Neubauten günstiger und auf den Lebenszyklus betrachtet, besser erfüllen als mit einem aufwändigen Umbau.

 

Energie und Klima

Die Gebäude werden auf dem Dach und den seitlichen Fassaden begrünt. Dabei schützt die Begrünung und nächtliches Querlüften das Gebäude vor Überhitzung. Gleichzeitig wirkt das Grün als Klimaanlage dank der Verdunstung von Wasser. Die Dächer leisten über 600kWh an Kühlleistung an einem heissen Tag. Diese Energie verbessert das Mikroklima spürbar, kühlt und schützt das Gebäude. Die Aufenthaltsqualität im Innen- und Aussenraum wird erhöht. Die Retensionsdächer, Pflanztröge und intensive Bepflanzung an der Fassade sind in der Lage den Jahresniederschlag, inklusive Starkregen, aufzunehmen und die Kanalisation zu entlasten. Ein grüner Filter für Feinstaub, Licht, Schall und neugierige Blicke entsteht und ermöglicht das Zusammenspiel der unterschiedlichen Nutzungen auf dem vorhandenen Raum.

Das aktive Wassermanagement, das gute Mikroklima, die sparsam genutzte Fernwärme, das Ausschöpfen der nachhaltigen Sonnenenergie führen zu einem Vorzeigeprojekt in energetischer Nachhaltigkeit. Der Betrieb durch die Genossenschaft ermöglicht zudem eine soziale Nachhaltigkeit im zwischenmenschlichen Alltag und Betrieb.

 

Kreislaufwirtschaft

Während der Planungszeit und beim Abbruch des Saalbaus sowie der Hof-Garage wird urban-mining betrieben, um die graue Energie der Neubauten zu reduzieren. Wiederverwendete Bauteile aus einem regionalen Einzugsgebiet wirken sich positiv auf die Kosten- und Energiebilanz aus. Zudem bereichern sie die Gebäude um viele lokale Geschichten und einen unverwechselbaren Facettenreichtum. Die Fenster des Saalbaus werden für die Wintergärten verwendet, die neben der Gebäudeerschliessung gemeinschaftlich genutzt werden. Die Mauern des Saalbaus werden zu Recyclingbeton und zu Füllmaterial für die Baugrube sowie für den Bau des Retensionsdachs und der Pflanzentröge verwendet. Das anfallende Material wird sortiert, gebrochen, vermischt und wiederverwendet. Der überschüssige Beton (1-2% Reserve pro Betonierungsetappe - jeweils schnell mehrere m3) wird vor Ort in Umgebungsmöbel gegossen und landet nicht auf der Deponie. Es entstehen über den Lebenszyklus hinaus gedachte Häuser mit dem Anspruch, eine positive CO2 Bilanz aufzuweisen. Sämtliche Verbindungen werden gefügt und nicht geklebt. Die Baustoffe und Bauteile werden für den künftigen Rückbau dokumentiert und entsprechend geplant und verbaut.